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Warum ist die Welt so gehetzt?

SASCHA ZÜRCHER: Wir stressen auf den Bus, um zur Arbeit fahren. Wir pressen uns durch die Strassen beim Einkaufen. Wir suchen verzweifelt einen Parkplatz, schliesslich beginnt in fünf Minuten das Gespräch mit dem Schulpsychologen. Warum ist die ganze Welt so gehetzt?

HUBERT LÄMMLER: Die meisten Menschen stehen in einem permanenten Wettbewerb. Beruflich und im Privatleben. Wir wollen immer mehr «produzieren»; gleichzeitig auch schneller und noch besser sein. Dies bei weniger Ressourcen. Das gibt vielen Menschen das Gefühl von Unsicherheit, Druck und Stress. Kommt dazu, dass Hektik ansteckend ist. Das lässt sich beweisen: Untersuchungen zeigen immer wieder, dass zwischen der Geschwindigkeit der Fussgänger und der Grösse einer Stadt ein Zusammenhang besteht. Ein Zürcher auf der Bahnhofstrasse bewegt sich doppelt so schnell, wie ein Grieche in seinem kleinen Dorf auf Mykonos.

Zeitdruck scheint also sowohl im Berufs- als auch im Privatleben allgegenwärtig zu sein. Warum hat sich das chronische Gefühl des Zeitmangels jetzt schon auf die Freizeit ausgedehnt?

Dazu gibt es eine einfache Erklärung: Wir sind rund um die Uhr Mensch. Es ist nicht möglich, im Berufsleben permanent unter Druck zu stehen und sich nach Arbeitsschluss völlig relaxed zu verhalten. Unsere Lebensbereiche beeinflussen sich gegenseitig. Wer nicht gut schläft, kann während der Arbeit nicht die volle Leistung bringen. Das führt zwangsläufig zu Unzufriedenheit. Ein stressiger Arbeitsalltag wirkt sich eben auf den Freizeitbereich aus. Beobachten Sie zum Beispiel an einem Freitagabend die Autofahrer auf der Autobahn: Coole und ruhige Autofahrer sind eher die Ausnahme. Die Nachwehen des Arbeitsalltags sind offensichtlich – denkt man vordergründig. Oft ist es aber der von Ihnen angesprochene Freizeitstress, welcher jetzt wirkt. Die Spirale ist mit derjenigen im Arbeitsprozess vergleichbar: Wir, alle oder fast alle, möchten schneller, besser, schöner, fitter sein; das tiefere Golf-Handicap haben den grösseren Wagen mit dem stärkeren Motor zu fahren. Prestige also ist oft die Ursache für erhöhten Blutdruck und nicht zuletzt für burnout.

Je fortgeschrittener die Gesellschaft, je schneller der ganze Wirtschaftsapparat wird, desto weniger Zeit haben wir. Kann man sagen, dass wir alle wieder genügend Zeit hätten, wenn man das Rad um fünfzig Jahre zurückdrehen könnte?

Bestimmt nich. Zeitmangel ist ein uraltes Problem. Vor rund 2000 Jahren hat Seneca gesagt: «Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.» Oder Vilfredo Pareto hat um die vorletzte Jahrhundertwende bereits auf sein Prinzip aufmerksam gemacht. Henry Ford und andere mehr haben sich intensiv mit dem Phänomen «Zeit» auseinandergesetzt. In unserer Bibliothek steht ein Buch aus dem Jahr 1938. In der Einleitung können sie lesen: «Wir wollen immer schneller und besser sein; billiger produzieren.» Prioritäten setzen und Delegieren waren schon damals die klassischen Ratschläge. Die Probleme sind dieselben geblieben, die Intensität hat jedoch stark zugenommen.

Wer hat in der heutigen Gesellschaft am wenigsten Zeit? Gibt es Unterteilungen?

Zeitverfügung ist nicht absolut. Wenn man die Sicht «Lebenszeit» nimmt, gibt es grosse Unterschiede. Die eine Person stirbt bereits im Kindesalter, die andere wird älter als hundert Jahre. Objektiv -und aus Tagessicht- gesehen haben alle gleich viel Zeit; nämlich 24 Stunden. Viel oder wenig Zeit ist schliesslich eine Frage der Nutzung. Aus dieser Sicht gibt es auf allen Hierarchiestufen und Funktionen unterschiedliche «Zeit-Nutzer».

Kann man also nicht sagen, dass ein Manager a priori weniger Zeit hat als eine Mutter mit zwei Kindern, welche für Haushalt und Kindererziehung zuständig ist?

Nein, überhaupt nicht – objektiv gesehen haben beide 24 Stunden pro Tag. Die Frau in ihrer Mutterfunktion hat während 7 Tagen je 24 Stunden Pikett-Dienst. Diese Zwänge bestimmen das subjektive Zeitgefühl. Beim Manager sind die Zwänge einfach anders: E-Mail, Mobilephone, Electronictablet, Meetings, Termine. Unsere Time Management Trainer können aus Erfahrung sagen: Manager, welche permanent unter Zeitdruck stehen, machen methodische Fehler. Wahrscheinlich gilt das auch für die Funktion der Mutter.

Unabhängig der Gesellschaftsschicht kann man doch feststellen, dass die Menschen glauben, je weniger Zeit zu haben, desto mehr Freizeit sie haben.

Wie gesagt, genügend oder wenig Zeit zu haben ist subjektives Empfinden. Die Angebote Zeit zu investieren sind im Berufs- und Privatbereich allgegenwärtig und vielfältig. Man kann sie einfach nicht alle wahrnehmen. Wer nicht widerstehen kann, ist gefährdet. Alle Mails zu lesen, jede Anfrage zu beantworten, es allen recht zu machen und bei jedem Meeting dabei zu sein ist genau so schlecht, wie jemand der «gleichzeitig» Segelfliegen lernt, sein Golf-Handicap senken, alle Freunde pflegen und dazu noch ein Marathonläufer werden will. Schlussendlich geht es darum, realistische Ziele zu setzen und die Zeit entsprechend den Zielen zu investieren.
Zusammenfassend könnte man also sagen, wer permanent das Gefühl hat, keine Zeit zu haben, hat einfach ein miserables Zeit-Management.
Oder konkreter: Keinen methodischen Umgang mit der Zeit; die Unfähigkeit, mit der zeit richtig umzugehen.

Woher sollen die Menschen wissen, wie man methodisch richtig mit der Zeit umgeht?

Es ist auch heute noch so, dass Time Management weder in der Schule, während der Berufslehre noch im Studium die notwendige Beachtung erfährt. Da liegt eine Kernursache der Probleme. Oft versuchen die Menschenetwas zu ändern, wenn sie sich bereits in einer Phase des burnouts befinden. Mit fatalen Folgen, auch für Führungskräfte:

Wie soll ein Manager seine Mitarbeitenden führen können, wenn er sich selbst nicht führen kann? Oder Vorbild sein? Gilt also der Grundsatz «Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich?»

Das scheint mir zu einfach. Es kommt mir vor wie «Über Geld spricht man nicht, Geld hat man einfach». Mit solchen Logiken kann ich nichts anfangen. «Wer sich Zeit nimmt, hat Zeit» kommt unserer Vorstellung schon eher entgegen. Eines ist wirklich klar: Jede Person hat gleichviel Zeit. Nicht jeder Person versteht damit umzugehen. Das ist der Punkt. Es ist meines Erachtens die Aufgabe eines modernen Menschen, sich mit dem Thema «Zeit» auseinander zu setzen. Nur wer sich selbst führen kann, kann andere führen. Aber wie gesagt, dass muss man lernen. Das gilt für die Mutter mit ihren Erziehungsaufgaben wie für den Abteilungsleiter eines Produktionsbetriebes.

Wir haben das Thema «Zeit-Management» kurz angesprochen. Sie führen seit 20 Jahren Seminare durch, in denen Teilnehmende lernen sollen, die Zeitplanung zu beherrschen. Kann man das so einfach lernen?

Klar kann man das lernen. Wahrscheinlich nicht ganz so einfach. Im Gegenteil: es ist schwierig. Es gibt zwei Bereiche, die man getrennt betrachten muss. Erstens muss man die Theorie kennen und Prinzipien und Modelle verstehen. Das ist die Seite, die jeder lernen kann, sofern das gut und nachhaltig vermittelt wird. Zweitens muss die Theorie in den Alltag transferiert werden. Das braucht viel Selbstdisziplin und konsequentes Training. Und eine Unternehmenskultur, die eben eine richtiges Zeitmanagement-Verhalten zulässt. Übrigens sind die Ursachen für einen schlechten Umgang mit der Zeit meistens klar einzugrenzen: Störungen und Unterbrechungen, Unordnung, Fehlende Ziele und falsche Prioritätensetzung sowie die fehlende Tagesplanung. Und schlecht geplante und geführte Meetings.

«Wenn man seine persönliche Planung in den Griff bekommen will, muss man sich klare Ziele setzen und Zeit-Diebe bekämpfen» habe ich kürzlich in einem Artikel gelesen. Was sind Zeitdiebe?

Ein Dieb ist bekanntlich jemand, der klaut. Zeitdiebe klauen also Zeit. Es sind Einflüsse, welche uns hindern, die gesteckten Ziele in der geplanten Zeit zu erreichen. Das können Telefonanrufe, E-Mails, Rückfragen durch Mitarbeitende, Lärm, Unterbrüche durch die Vorgesetzen oder auch Unlust an der Arbeit sein. Zunehmend in die Kategorie der Zeitfresser gehören Meetings, die schlecht geplant und schlecht geführt werden. Oft sind es auch die Hilfsmittel -auch Computerprogramme- welche die wertvolle Zeit fressen. Unsere Seminarteilnehmer analysieren jeweils ihre individuellen Zeitfresser und erstellen ein Konzept, um sie in den Griff zu bekommen.

Jetzt haben wir immer über die Zeit gesprochen. Zeit, die man nicht hat oder glaubt, nicht zu haben. Hat man erst einmal seine Zeit im Griff, erreicht man einen Domino-Effekt: Man hat nicht nur mehr Zeit zur Verfügung; man ist automatisch effizienter.

Ja, so ist es. Das ist auch das Ziel, wenn sich jemand mit dem Thema Zeit-Management auseinandersetzt. Wir versprechen zwar nie, dass man nach einem Seminar früher Feierabend machen kann, sondern dass man in der zur Verfügung stehenden Zeit mehr leisten kann. Und dabei ausgeglichener und zufriedener sein.

Angenommen ein Mensch weiss vor lauter Arbeit nicht mehr, wo sein Kopf steht. Auf dem Bürotisch stapeln sich Aktenberge. Dazu der permanente Termindruck. Da hilft wahrscheinlich das beste Zeit-Management nichts mehr?

«Zu spät» könnte man sagen. In solchen Situationen hilft nur noch eine objektive Zeiteinteilung. Das ist aber schwierig, weil man unter erhöhtem Druck nicht mehr klar denken kann. Die Ursache liegt in solchen Situationen zeitlich zurück. Er -oder sie- hat verpasst, sich der Ziele bewusst zu sein, die entsprechenden Prioritäten zu setzen und den Tag richtig zu planen. Es gilt eben für uns alle: Wer weiss, wer er ist, was er kann und was er will, hat es einfacher im Leben als jemand, der sich im Arbeitsalltag ohne diese Überlegungen bewegt.

Ich habe Fragen zu einem Seminar. Bitte rufen Sie mich zurück.

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